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Sektorale Salden - Eine geschlossene Volkswirtschaft als ganzes kann nicht sparen?

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langfristinvestor
(@langfristinvestor)
Verdienter Freiheitskämpfer

@viper2333 Das war nicht als persönlicher Angriff gemeint, sondern als kritische Frage gedacht, die Annahmen zu hinterfragen. Ich hätte meine Frage an jeden formuliert, der mit der "klassischen" Lehrbuchmeinung argumentiert. Meine Zielstellung ist ja, genau diese "Lehrbuchmeinungen" zu hinterfragen - Forschung ist meist 10-15 Jahren Lehrbüchern voraus (das bekannteste Lehrbuch hatte bis Mitte der 80er noch vorausgesagt, dass durch die Planwirtschaft in der Sowjetunion die größte Volkswirtschaft der Erde entsteht...); das Grundgesetz möchte auch vergleichbare Lebensverhältnisse in ganz Deutschland schaffen - das ist kein volkswirtschaftliches Argument.

Das "magische Viereck" ist als Hilfestellung zur Verdeutlichung von Tradeoffs und Zielkonflikten zu verstehen und es gibt keine neuere Empirie, die zeigt, dass rein volkswirtschaftlich betrachtet eine ausgeglichene Handelsbilanz vorteilhaft ist. Ausgeglichen klingt eben gut, um, wie du aufzeigst, politisch weniger angreifbar zu sein in einer Welt, die sich tendenziell weg von der Globalisierung bewegt, da die Globalisierungsverlierer im z.B. ländlichen Amerika ihr Wahlverhalten danach richten. Deshalb ist dies politisch klar zu begrüßen.

Die eigentliche Frage ist ja, wie möchte Deutschland das denn umsetzen? Welche Stellschrauben gibt es, welche Tradeoffs bringen, die mit sich und wer wird zum relativen Gewinner/Verlierer in der Bevölkerung dadurch?

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Veröffentlicht : 13. Januar 2023 21:09
viper2333 und Herr Vorragend mögen das
jan123
(@jan123)
Aktiver Freiheitskämpfer
Danke für eure weitern Kommentare. Säkuläre Stagnation ist ja quasi fast genau der Zustand, den ich in meinem Eingangspost beschrieben habe.
Veröffentlicht von: @viper2333

Nach reiner Ideallehre sollten Haushalte sparen und Unternehmen noch mehr Schulden für Wachstum machen während der Staat und das Ausland Saldo 0 haben. Ist in Deutschland seit über 40 Jahren nicht mehr der Fall. 

Solange diese Bedingung nicht erfüllt ist, ist es doch extrem wichtig, bei Gesamtwirtschaftlichen Fragestellung diese Salden mit zu beachten? In der öffentlichen Diskussion spielt das bei uns in Deutschland aber überhaupt keine Rolle.

Was wäre denn, wenn wir es nicht mehr schaffen würden, diese großen Leistungsbilanzüberschüsse zu generieren? Im ersten Schritt würde der Staat sicher weiterhin versuchen die "erfolgreiche solide Wirtschaftspolitik" einer schwarzen Null weiter zu fahren. Bei einer sich eintrübenden Wirtschaftspolitik würden Unternehmen ihre Investition reduzieren. Privathaushalte würden aufgrund der unsicheren Wirtschaftslage eventuell sogar versuchen noch mehr zu sparen. Im nächsten Schritt würde der Staat dann vielleicht versuchen durch Kreditfinanzierte Konjunkturprogramme dagegen zu steuern. Man würde aber sicher (wie jetzt in der Corona Krise) diese Konjunkturprogramme nur Zeitlich begrenzen (auch zur Einhaltung der Schuldenbremse). Aus der Misere würde man dann erst wieder rauskommen, wenn man wieder höhere Leistungsbilanzüberschüsse generieren kann.

Die Sektoralen Salden zu betrachten finde ich auch für die Südeuropäischen Staaten sehr spannend. In der Euro-Krise wurde versucht durch Abwertung die Wirtschaft Wettbewerbsfähiger zu machen. Die Staatsbudgets sollten so verbessert werden, dass die Staatsverschuldung reduziert wird. Also auch der Staat sollte eine positive Sparquote haben. Aufgrund der wirtschaftlichen schweren Situation haben die Privathaushalte auch versucht zu sparen. Wer diese entstehende Sparquote in Südeuropa ausgleichen soll, wurde nie diskutiert. Deutschland ist es sicher nicht mit seinen hohen Leistungsbilanzüberschüssen. Und die Rolle der Schuldner nehmen in vielen Volkswirtschaften in Europa seit Jahrzehnten nicht mehr ein.

 

Bei einer ausgeglichenen Leistungsbilanz und Unternehmen ohne negativer Sparquote ist die Schuldenbremse des Staates dann doch gleichzeitig auch eine Vermögensbremse der Privaten Haushalte? 

Schon sehr spannendes Thema. Eigentlich kann man den USA echt danken, dass sie dieses riesige Leistungsbilanzdefizit gegenüber der restlichen Welt haben. Ansonsten wäre es sicher schwer, die hohen Sparquoten, insbesondere aus Deutschland und Japan, auszugleichen. Ob das Zeug dann in den USA investiert oder einfach nur verkonsumiert wird ist im ersten Schritt auch egal. Hauptsache jemand gleicht diese Sparquoten der Privathaushalte aus.   I Dont Know  

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Themenstarter Veröffentlicht : 15. Januar 2023 18:17
viper2333 mag das
viper2333
(@viper2333)
Verdienter Freiheitskämpfer

Hi @langfristinvestor,

no offense taken, ich hoffe, ich kam auch nicht falsch rüber.

Eine gewisse Grundskepsis gegenüber einer Lehrmeinung zu bewahren halte ich für extrem gesund und wichtig.

Ein dauerhafter hoher Exportüberschuss bedeutet im Endeffekt ja nichts anderes, als dass Deutschland Waren- und Dienstleistungen (in der Realität natürlich vermehrt Waren), also Sachgüter, gegen das Versprechen von Geldzahlung, welche jedoch in Form von gemachten Verbindlichkeiten eingegangen werden. Man wird zum Gläubiger der Importländer mit dem Risiko des Zahlungsausfalls. Gleichzeitig schwächt das Importland natürlich auch die eigene Wirtschaft.

Die Target 2 Salden sind da ein anschauliches Beispiel innerhalb der EU. 1,269 Billionen Euro Forderungen hat die dt. Bundesbank aktuell, Tendenz weiter steigend. Überspitzt und plakativ gesagt heißt das, dass Deutschland Aktien von Industrieunternehmen verkauft und sich dafür Staatsanleihen von Italien und Spanien ins Depot legt. Oder das dt. Banken indirekt über italienische Banken an italienische Unternehmen Kredite vergeben haben, damit diese in Deutschland Maschinen einkaufen können.

Das kratzt das Thema alles nur sehr oberflächlich an, aber ja.

 

Welche Stellschrauben es gibt? Realistisch betrachtet eigentlich nur, dass man im Inland mehr Schulden macht (Also Staat, UN und/oder Private Haushalte), womit man Wachstum erzeugt und den Binnenmarkt stärkt und damit von alleine mehr Importe entstehen, womit dann der Außenhandelsüberschuss abgebaut wird. Sprich der dt. Staat startet ein massives Konjunkturprogramm, ohne, dass alle anderen EU Länder dies auch tun oder ändert die Weichenstellungen so ab, dass im Ergebnis die Unternehmen mehr investieren oder die privaten Haushalte mehr Waren aus dem Ausland einkaufen. Wie auch immer das im Detail möglich ist.

Vermutlich am ehesten mit einer "linken" Wirtschaftspolitik in Form von Steigerungen im Bereich Mindestlohn und Sozialleistungen, Steuersenkungen für untere Einkommen, Freibeträge bei Sozialversicherung für untere Einkommen, Mehrwertsteuersenkungen, Subventionen für Investitionen. Im Endeffekt muss man dorthin Geld lenken, wo es Nachfragewirksam verwendet wird, sprich verkonsumiert wird (ob dies aus Umweltsicht sinnvoll ist, sei dahingestellt). Das sehe ich eher eher bei der ärmeren Bevölkerung. 
Der hier im Forum verbreitet praktizierte Lebensstil von großen Sparbeträgen ist jedenfalls nicht das Ziel.

 

Jetzt ist natürlich die Frage, was die Konsequenzen von solchen Maßnahmen wäre. Spannende Fragen.

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Veröffentlicht : 16. Januar 2023 13:15
viper2333
(@viper2333)
Verdienter Freiheitskämpfer

@jan123 

Insgesamt ist die USA auch wachsender Nettogläubiger soweit ich weiß. Sprich die Sparleistung von Unternehmen und Privatpersonen ist höher als das Defizit der öffentlichen Hand und der negative Leistungsbilanzüberschuss. Also global gesehen machen andere die Schulden.

 

Aber ja, wenn der Staat keine Schulden macht und die Unternehmen auch keine, dann können die privaten Haushalte nur durch das Ausland Vermögen ausbauen. 
Im Detail muss man natürlich aber auch anschauen, welche Verteilungswirkung es gibt. Es muss ja nicht zwingend gut sein, dass die privaten Haushalte mehr Vermögen machen. Es kann ja auch passieren, dass die unteren 50% Vermögen bilden und die Top 1% z.B. Vermögen abschmelzen. Passiert zwar de facto nicht, aber auch dies kann eine Option sein.

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Veröffentlicht : 16. Januar 2023 13:30
jan123
(@jan123)
Aktiver Freiheitskämpfer

@viper2333 

Veröffentlicht von: @viper2333

Insgesamt ist die USA auch wachsender Nettogläubiger soweit ich weiß. Sprich die Sparleistung von Unternehmen und Privatpersonen ist höher als das Defizit der öffentlichen Hand und der negative Leistungsbilanzüberschuss. Also global gesehen machen andere die Schulden.

Also in dieser Grafik gleicht der Staat die positive Sparquote der Privaten (Industrie+Privathaushalte) und des Auslands aus. Demnach müsste für mein Verständnis global gesehen gerade die USA die Schulden machen, was sich insbesondere in der steigenden Staatsverschuldung der USA widerspiegelt.

Hier auf Wikipedia gibt es eine schöne Übersicht aller Leistungsbilanzen. Besonders die USA gleichen die positiven Leistungsbilanzen anderer Länder aus:

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_L%C3%A4nder_nach_Leistungsbilanz

Veröffentlicht von: @viper2333

Vermutlich am ehesten mit einer "linken" Wirtschaftspolitik in Form von Steigerungen im Bereich Mindestlohn und Sozialleistungen, Steuersenkungen für untere Einkommen, Freibeträge bei Sozialversicherung für untere Einkommen, Mehrwertsteuersenkungen, Subventionen für Investitionen. Im Endeffekt muss man dorthin Geld lenken, wo es Nachfragewirksam verwendet wird, sprich verkonsumiert wird (ob dies aus Umweltsicht sinnvoll ist, sei dahingestellt). Das sehe ich eher eher bei der ärmeren Bevölkerung. 

Die linken Parteien haben diesen Sachverhalt aber auch nicht verstanden. Deren Logik ist immer Umverteilung. Tendenziell sparen reichere Haushalte mehr als ärmere. Aber wenn die Unternehmen nicht die Sparquote der Privathaushalt ausgleichen ist es ja schon ein Problem, wenn überhaupt gespart wird.

 

Veröffentlicht von: @viper2333

Der hier im Forum verbreitet praktizierte Lebensstil von großen Sparbeträgen ist jedenfalls nicht das Ziel.

Wenn man bis zum Lebensende all sein Geld ausgibt und man dadurch über alle Privatpersonen eine Sparquote von 0 hätte wäre das überhaupt kein Problem. Smile

 

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Themenstarter Veröffentlicht : 1. Februar 2023 20:12
Natman mag das
langfristinvestor
(@langfristinvestor)
Verdienter Freiheitskämpfer
Veröffentlicht von: @jan123

Tendenziell sparen reichere Haushalte mehr als ärmere. Aber wenn die Unternehmen nicht die Sparquote der Privathaushalt ausgleichen ist es ja schon ein Problem, wenn überhaupt gespart wird.

 

Letztendlich müssen bei der Überlegung immer GE-Effekte (Allgemeine Gleichgewichtseffekte) berücksichtigt werden, da sich durch alternative Szenarien die Sparquote von Gruppe X nicht zwingend erhöht und die Verschuldung von Gruppe Z somit auch nicht zunehmen muss. Dies liegt daran, dass der Gleichgewichtspreis des Geldes (Zinssatz/Vermögensbewertung) aufgrund des globalen Sparangebots variiert, was zu Anreizen für geringere oder höhere Sparquoten führt und somit einen aktuellen Zustand nicht vorhergesagt werden kann.

Wenn alle Frugalisten eine hohe Sparquote hätten, würde sich der Gleichgewichtszinssatz verringern und es gäbe einen Anreiz, weniger zu sparen. Desweiteren hätte dies direkt einen Effekt auf Konsum und Output, was wiederrum eig. alle relevanten Variablen verändert.

Aus diesem Grund habe ich in diesem Thread bereits meine Meinung zu diesem Thema geäußert und es als second-order-Effekt abgetan, da es für mich eher eine Folgevariable ist, die direkte Entscheidungen sekundär beeinflusst.

 

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Veröffentlicht : 2. Februar 2023 03:19
jan123
(@jan123)
Aktiver Freiheitskämpfer
Veröffentlicht von: @langfristinvestor

Letztendlich müssen bei der Überlegung immer GE-Effekte (Allgemeine Gleichgewichtseffekte) berücksichtigt werden, da sich durch alternative Szenarien die Sparquote von Gruppe X nicht zwingend erhöht und die Verschuldung von Gruppe Z somit auch nicht zunehmen muss. Dies liegt daran, dass der Gleichgewichtspreis des Geldes (Zinssatz/Vermögensbewertung) aufgrund des globalen Sparangebots variiert, was zu Anreizen für geringere oder höhere Sparquoten führt und somit einen aktuellen Zustand nicht vorhergesagt werden kann.

Wenn alle Frugalisten eine hohe Sparquote hätten, würde sich der Gleichgewichtszinssatz verringern und es gäbe einen Anreiz, weniger zu sparen. Desweiteren hätte dies direkt einen Effekt auf Konsum und Output, was wiederrum eig. alle relevanten Variablen verändert.

Aus diesem Grund habe ich in diesem Thread bereits meine Meinung zu diesem Thema geäußert und es als second-order-Effekt abgetan, da es für mich eher eine Folgevariable ist, die direkte Entscheidungen sekundär beeinflusst.

 

Die Deutschen in Summe verhalten sich ja wie ein Frugalist, wenn sie ständig unter ihren Verhältnissen Leben (=Leistungsbilanzüberschüsse erwirtschaften). In den letzten Jahren hatten wir extrem niedrige Zinsen. Teilweise sogar negativ. Und trotzdem haben die Privatpersonen ihre Nettosparquote sogar noch erhöht. Und die Unternehmen haben durch die niedrigen Zinsen auch nicht so viel investiert, dass sie die Sparquote der Privatpersonen ausgeglichen hätten. 

Wie hoch hätte in den letzten Jahren denn ein Gleichgewichtszins sein müssen, damit die Privatpersonen ihre Sparquote stark reduzieren? Der hätte ja dann stark negativ sein müssen, wenn sogar bei einem Leitzins von 0% noch so viel gespart wird. 

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Themenstarter Veröffentlicht : 15. Juni 2023 18:10
Natman mag das
langfristinvestor
(@langfristinvestor)
Verdienter Freiheitskämpfer

Die Sparfunktion ist nicht perfekt elastisch mit dem Zinssatz in jedem Bereich - Leute sparen auch:

- precautionary savings motive, um für schlechte Zeiten vorzusorgen

- habit, denn nicht jeder trifft mit seinem Geld immer nur für den Moment optimale Entscheidungen

- collateral für eine Investition (z.B. Hauskauf) aufzubauen, da Kreditmärkte Friktionen besitzen (Zinsdifferenz; Collateral constraint, etc.)

Zudem muss man genauer hinschauen, wie sich die Sparquote entlang der Bevölkerung (Einkommen/Vermögensdecilen) aufteilt. Ja, es gibt einen Zinssatz der die Sparquote stark reduziert hätte, doch nie auf 0.

Zudem gilt die PIH - wenn die Akteure glauben, dass diese Zinsphase von nahe 0 nicht permanent ist, dann ist weiteres Sparen dennoch rational.

AntwortZitat
Veröffentlicht : 15. Juni 2023 19:12
Natman mag das
jan123
(@jan123)
Aktiver Freiheitskämpfer
Veröffentlicht von: @langfristinvestor

Die Sparfunktion ist nicht perfekt elastisch mit dem Zinssatz in jedem Bereich - Leute sparen auch:

- precautionary savings motive, um für schlechte Zeiten vorzusorgen

- habit, denn nicht jeder trifft mit seinem Geld immer nur für den Moment optimale Entscheidungen

- collateral für eine Investition (z.B. Hauskauf) aufzubauen, da Kreditmärkte Friktionen besitzen (Zinsdifferenz; Collateral constraint, etc.)

Zudem muss man genauer hinschauen, wie sich die Sparquote entlang der Bevölkerung (Einkommen/Vermögensdecilen) aufteilt. Ja, es gibt einen Zinssatz der die Sparquote stark reduziert hätte, doch nie auf 0.

Zudem gilt die PIH - wenn die Akteure glauben, dass diese Zinsphase von nahe 0 nicht permanent ist, dann ist weiteres Sparen dennoch rational.

Aber sobald die Privathaushalte Positive Nettosparquoten erzeugen ist es doch spannend anzuschauen, wer diese Sparquoten ausgleicht. Der Deutsche Weg ist es Leistungsbilanzüberschüsse zu machen. Also das Ausland macht für uns Schulden, um unsere Sparquote auszugleichen. Und wenn dann Länder wie die Südeuropäer zu viele Schulden haben (u.a. weil sie unsere Sparquoten ausgeglichen haben) sagen wir ihnen, dass sie auch sparen sollen (=Reduktion der Staatsschulden). Das ist aber keine Lösung für alle, da jedem Leistungsbilanzüberschuss immer ein Defizit gegenübersteht. 

Danke für dein Kommentar. Sorry, dass ich nicht locker lasse, aber das Thema fesselt mich irgendwie.

AntwortZitat
Themenstarter Veröffentlicht : 15. Juni 2023 19:44
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