Wie der Maschinist sein halbes Vermögen an der Börse verlor

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crash chart

Alte Geschichten! Wie schön aber manchmal auch schmerzhaft, so lange Sie noch nicht ganz verarbeitet sind.

Wenn einen unerwartet ein negatives Erlebnis trifft, ist es direkt danach schwer, irgendeinen positiven Nutzen für sich daraus zu ziehen.

Bei vielen alltäglichen Dingen gibt es eine solche negative Überraschung selten.

Bei neuen Tätigkeiten, bei denen wir uns leicht mit anderen Vergleichen können, ist es von Anfang an offensichtlich, dass wir erst einmal schlecht darin sind.

Wir probieren das schließlich gerade erstmals neu aus und kalkulieren das mit ein.

Niemand startet zum Beispiel eine neue Sportart und plant direkt für den nächsten Monat die Olympia Teilnahme.

Richtig groß dagegen wird das mögliche Überraschungspotenzial, wenn die Schwierigkeit einer Sache zu Beginn gar nicht erkennbar ist.

Oder wir fälschlicherweise meinen, schon richtig gut darin zu sein.

Das ist oft mit Dingen so, bei der unsere direkte Umgebung noch wenig Erfahrung hat.

Oder bei der uns die Komplexität der Aufgabe am Anfang nicht ersichtlich ist.

Nur der einfache Teil bzw. der mögliche Benefit liegen dann klar vor uns und locken uns an, mit beiden Füßen gleichzeitig einzusteigen.

 

Nach meiner Erfahrung gibt es kaum einen besseren Ort, die eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten schneller kennen zu lernen, als die Börse.

 

Selbst, wer direkt am Anfang mit der sanftesten und meist auch vernünftigsten aller Handelsmethoden beginnt (dem passiven Investieren in Gesamtmarkt Aktien ETF), wird bei seinem ersten echten Bärenmarkt, mit einer Vielzahl an Gefühlen konfrontiert.

Der Aktienmarkt wird in Panikzeiten dadurch zum großen Teil von Angst und Panik bewegt.

Aus rationaler Sicht fast unvorstellbar, werden Positionen dadurch oft nahe der Tiefpunkte abgestoßen, wenn der Wert der Investments, wie bei unserem Goldhühnerbeispiel am allergrößten ist.

Der Maschinist ist natürlich auch heute noch nicht frei von solchen Gefühlen an der Börse.

Er hat nur in den letzten zwei Dekaden unter vielen Schmerzen gelernt, Sie richtig einzuordnen und sie bei seinen Entscheidungen an der Börse möglichst nicht zu berücksichtigen.

 

Von einem meiner schmerzhaftesten Momente, möchte ich heute erzählen

Es ist aus heutiger Sicht eine der besten Sachen, die mir jemals passiert ist. Damals im Jahr 2002, dachte ich allerdings eher ich müsste sterben.

Frühling 2002. Der junge Maschinist arbeitet nach seinem Studium nun seit zwei Jahren bei einem großen Unternehmen. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er dadurch ein stattliches Gehalt. Und da er von seinen Eltern ein paar nützliche Dinge bezüglich Sparen und allgemeiner Lebensweise gelernt hatte, war sein Vermögen in den gut 24 Monaten Angestelltendaseins von Null auf ca. 40.000 € angewachsen.

Eine tolle Leistung. Er hatte weder zuvor jemals so viel Geld besessen, noch wusste er, was man mit dem Geld am allerbesten macht (Man investiert es passiv und dauerhaft im Aktienmarkt).

Er hatte dagegen bei seinen Arbeitskollegen gesehen, dass man damit aktiv spekulieren kann.

Diese Kollegen hatten zwar im Crash in den beiden Jahren zuvor einen guten Teil Ihres Depotvermögens beim aktiven Handel verloren aber dem Maschinist würde das bestimmt nicht passieren (Ich liebe den nun offenen Spannungsbogen).

In den Monaten zuvor, hatte er zwar auch mit Geld an der Börse spekuliert aber durch eine Mischung von Zufall und Glück unter dem Strich trotz Bärenmarkt kein Geld verloren. Der Maschinist war halt einfach ein Börsengenie und wenn der Bärenmarkt nun vorbei sein würde und er dann die richtigen Unternehmen auswählt, steht dem künftigen Reichtum nichts mehr im Weg.

Beim Lesen in einschlägigen Foren und einigen Quartalsberichten wurde er bald auf eine absolute „Börsenperle“ aufmerksam.

Thiel Logistik

Der Wert der Aktie war von mehr als 50 € im Jahr 2000 auf aktuell 10 € gefallen.

Der Trend im Chart war zwar weiterhin nach unten gerichtet und der Negativtrend damit voll intakt. Aber von solchen Dingen hatte der Maschinist damals noch keine Ahnung.

Die Firmenleitung von Thiel Logisitk sprach davon, dass Sie auch nicht verstehen könnte, warum die Aktie so günstig wäre und das Umsatz und Gewinn weiter steigen würden.

Die Aktie war somit einfach super günstig. Der Maschinist geriet in Verzückung. Wenn die Aktie zurück auf 50 Euro laufen würde…

…dann wären das 500% Gewinnpotenzial.

Hammer!

 

Der Maschinist fing also an zu kaufen

Erst eine kleine Position. Aber je länger er darüber nachdachte, desto mehr wurde Ihm bewusst, dass er hier richtig fett dabei sein musste.

Er kaufte mehr.

Und dann kaufte er noch mehr!

 

Nach wenigen Tagen hatte er 25.000 € in diese Aktie investiert.

Was für einen finanziell unabhängigen Menschen zwar eine schöne Summe ist aber Ihn auch nicht groß sorgt, war für mich damals mehr als die Hälfte meines gesamten Vermögens.

Alles selbst verdient und mit viel Verzicht zusammen gespart.

Aber der Maschinist war sich sicher, das die Aktie nun drehen würde und Ihm in kurzer Zeit eine Verdopplung des Vermögens bringen würde.

Mindestens!

Es konnte doch nichts schief gehen, oder? Das Unternehmen selbst sagte doch, dass alles bestens sei. Die Zahlen waren super.

Der Markt täuscht sich bestimmt, aber der Maschinist ist schlauer!

Nachdem ich jetzt so schön in den Gefühlswirren des jungen Maschinisten gebadet habe, ist es Zeit für den Rest der Geschichte.

 

Der Aktienkurs von Thiel Logistik erholte sich danach sogar für wenige Wochen von ca. 10 auf ca. 13 € in der Spitze.

Der Maschinist war völlig hin und weg.

Er hatte mehr als 6.000 € in kurzer Zeit „verdient“.

Und jetzt würde es noch viel, viel mehr werden. Leider hatte er in Wirklichkeit und hauptsächlich durch Glück die Aktie an einem lokalen Tiefpunkt im langfristigen Abwärtstrend gekauft. Der Wert hatte sich einfach etwas erholt, wie es bei stark fallenden Werten immer wieder zwischendurch passiert.

Kurz danach fing die Aktie wieder an zu schwächeln. Erst nur ein wenig aber nach wenigen Tagen war der Wert wieder beim Einstiegskurs von 10 Euro.

Mhhh, nicht schön aber bestimmt werden hier nur die letzten nervösen Aktienbesitzer „heraus geschüttelt“.

Der Maschinist hatte diese Redewendung jetzt so oft in Aktienforen gelesen, dass er selbst fest daran glaubte.

Diese dummen nervösen Aktionäre!

Steigen nun aus, kurz bevor Sie alle wohlhabend sein könnten.

Selbst schuld!

Den folgenden Teil der Geschichte habe ich nie vergessen und er erzeugt sogar heute noch eine Gänsehaut, wenn ich darüber schreibe

 

Die Aktie stand also wieder bei 10 Euro und es war ein Freitag.

Der Maschinist, war an diesem Wochenende mit seinen Freunden bei „Rock am Ring“ und er hatte viel Spaß. Die Stimmung war ausgelassen. Am Pfingstmontag ging es dann zurück nach Hause und am frühen Dienstag morgen gut gelaunt an den Büroschreibtisch.

Das Wochenende war klasse. Jetzt noch eine Tasse Kaffee, kurz die Börsenkurse gescheckt und dann ran ans Tageswerk.

Thiel Logistik war jetzt bestimmt schon wieder gestiegen. Die ganze Kohle kommt zu mir. Ich bin einfach ein Börsenprofi!

 

Nachdem der Rechner hochgefahren war und die entsprechende Seite aufgerufen, passierte irgend etwas komisches.

Dort wo eigentlich der Kurswert der Aktie stehen sollte, stand eine sonderbare Zahl.

Die Zahl ZWEI!

Dort stand die Zahl zwei hinter dem Aktienwert meines Unternehmens, dass mir die erste von vielen schnellen Vermögensverdopplungen bescheren sollte.

Kann ja gar nicht sein. Der Wert stand bei 10 € am Freitag. Meinen die vielleicht 20?

 

Nachdem der Maschinist sich dann in sein Aktiendepot eingeloggt hatte, wurde Ihm erst heiß & kalt, dann war er schockiert und am Schluss wurde Ihm übel. Richtig schlecht.

20.000 € – weg! Nicht mehr da. Das halbe Vermögen!

  • Ein Lebensjahr Sparanstrengung – weg!
  • Die Hoffnung auf eine Vermögensverdopplung – weg!
  • Das Selbstbild als Börsenprofi – zerstört!

Das Unternehmen hatte damals einfach bezüglich seiner Geschäftszahlen gelogen. Es gab diese Gewinne so nicht. Es gab höchstens die Hoffnung darauf. Aufgrund der viel zu laschen deutschen Gesetzgebung im Aktionärsrecht, passierte das viel zu oft zur damaligen Zeit.

 

Dieses Erlebnis war krass

Es war mit das extremste, was ich je durchlebt habe.

Doch all die Schmerzen, all das verlorene Geld und das zerbrochene Selbstbild waren aus heutiger Sicht notwendig.

Und es war nicht nur notwendig. Nein, es war aus heutiger Sicht sogar mit die beste Sache, die mir für meinen weiteren Erfolg je an der Börse passiert ist! Ohne diese frühe und extreme Erfahrung, hätte ich nie so schnell gelernt, worauf es an der Börse wirklich ankommt!

Es ist ein perfektes Beispiel für das: „Scheitere oft, scheitere früh und scheitere schnell!“ Prinzip, dass beim Erlernen einer komplett neuen Sache, in der nur ganz wenige Menschen Erfahrungen haben, so hilfreich ist!

Es wäre langfristig viel schlimmer gewesen, wenn diese Spekulation für mich damals funktioniert hätte. Wenn ich damals wirklich mein Vermögen verdoppelt hätte, wäre ich danach wahrscheinlich den ganzen Bullenmarkt 2003 bis 2007 über, ohne jedes Gefühl für eine Gefahr extrem im Markt positioniert gewesen.

Ich hätte zuerst weiteres Geld verdient aber dabei überhaupt nicht gelernt, worauf es bei der aktiven Spekulation an der Börse eigentlich ankommt.

Dann mit viel mehr Geld, mit mehr investierter Zeit und viel weniger eigentlicher Erfahrung, hätte es mich im Bärenmarkt 2008 komplett rausgeworfen!

Der Schock und der Verlust wäre um ein vielfaches größer gewesen. Und die Chance, dass alles wieder auszugleichen viel geringer.

Vielleicht hätte ich dann sogar aufgegeben, nachdem so viel zerstört worden wäre und meine „Illusionszeit“ so viel länger angedauert hätte.

Scheitern ist fast eine Grundvoraussetzung etwas komplett neues zu erlernen, wenn man keinerlei Mentor hat. Du musst nur dafür Sorgen, dass es möglichst schnell und möglichst früh in Deinem Leben passiert.

Also danke an das alte Management von Thiel Logistik für diese Erfahrung.

Lügner seid Ihr trotzdem.

 

 

Edit: Da ein Leser den Ablauf der Geschichte hinterfragt hat, hier ein Chart von Thiel Logistik aus dem Jahr 2002:

thiel-logisitik-2002

 

Der blaue Punkt ist der Kauf bei 10 €

Danach erholte sich der Kurs bis über 13 € je Anteil und bröckelte nachfolgend wieder ab. Der Schlusskurs vor dem Wochenende waren knapp unter 9 €. Bei Börseneröffnung in der folgenden Woche ging der Kurs Intraday bis auf 2 €, um sich bis Börsenschluss wieder auf über 3 € zu erholen.

Der Chart stellt Tagesschlusskurse dar, deshalb ist das Intraday-Drama nicht in vollem Umfang sichtbar.

Der Maschinist hat damals in dieser emotionalen Ausnahmesituation und der fehlenden Erfahrung natürlich morgens nahe des Tiefpunktes verkauft.

Nach dem Teileinstieg von Frau Klatten ging der Kurs in den darauf folgenden Wochen dann sogar noch einmal im Juli bis auf 8 € hoch.

Aber das natürlich ohne den Maschinisten, der sich zu dem Zeitpunkt hauptsächlich mit seinem Trauma des halbierten Depots beschäftigte.

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